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Gesundheit
28.12.2021
28.12.2021 09:43 Uhr

Wo bleibt die Menschenwürde?

Derzeit liegt nicht eine solche Notsituation vor, die eine Zwangsmassnahme in Ausnahmefällen vielleicht rechtfertigen würde. Bild: Pixabay
Eine Impfpflicht ist nichts anderes als eine medizinische Zwangsbehandlung behauptet der deutsche Jurist Kai Möller. Er ist deshalb gegen eine Impfpflicht.

Persönlich habe ich mir oft überlegt, was eine Impfpflicht für die Menschheit bedeuten würde. Dabei dachte ich an das Menschenrecht.

  • Kann ich einen Menschen gegen seinen Willen dazu zwingen, sich impfen zu lassen?
  • Wie würde ich diesen Entscheid rechtfertigen?
  • Wenn es Konsequenzen bei den einzelnen Menschen wegen der Impfpflicht gebe, wer würde dafür die Verantwortung übernehmen?
  • Wieweit kann der Staat in meine privaten Angelegenheiten sich einmischen?
  • Geht es hier nicht auch um körperliche Unversehrtheit? Was heisst das überhaupt?

In einem Artikel von Deutschlandfunk Kultur fand ich zumindest Argumente zu meinen Fragen. Wenn sie auch nicht abschliessend beantwortet wurden.

«Rechte hindern den Staat daran, Dinge zu tun, die im Allgemeininteresse liegen könnten. Am offensichtlichsten ist dies im Falle absoluter Rechte, die den Kern der Menschenwürde schützen – wie zum Beispiel dem Verbot von Folter. Selbst wenn die Folter eines mutmaßlichen Terroristen im Einzelfall im Allgemeininteresse liegen könnte, zum Beispiel um einen Terroranschlag zu verhindern, ist sie absolut verboten, weil sie gegen die Menschenwürde verstößt.»
Grosser liberaler Philosoph Ronald Dworkin - Einsicht über die Natur der Grundrechte

Menschenwürdeverletzung

Ein dunkles und hässliches Thema, das etwas Totalitäres beinhaltet. Unter Strafandrohung von einer Person zu verlangen, dass sie gegen ihren Willen sich eine Flüssigkeit in den Körper injizieren lassen muss.

Eine Impfpflicht ist auf jeden Fall in der Nähe einer Menschenwürdeverletzung und sich nur in Ausnahmefällen rechtfertigen lässt.

«Deutschland und Österreich werden ohne Impfpflicht nicht durch einen erneuten Covid-Winter kommen» – behaupten die Impfpflicht-Befürworter. Sie würde weitere Lockdowns und Restriktionen vermeiden, welche zweifelsohne auch schlimme Folgen haben würden. Doch überzeugt dieses Argument?

Jeder kann sich selbst schützen

Die Impfung wäre im Allgemeininteresse, doch sie ist nicht zu rechtfertigen, denn ältere Ungeimpfte können sich selbst schützen, indem sie sich impfen lassen. Es kann nicht sein, dass sich eine jüngere gesunde Person impfen lassen muss, damit eine ältere Person, die sich immer noch selbst schützen, respektive impfen lassen kann, quasi davon profitieren kann.

  • Beitrag von Kai Möller

Auf die Aussage vom Psychlogen Torsten Padberg, dass man mit einer Impfpflicht den Impfgegnern eine Brücke baue, meint Kai Möller, Professor of Law an der London School of Economics (LSE):

Man könnte daher nun argumentieren, dass nur Personen mit einem höheren individuellen Risiko ein Impfmandat auferlegt werden sollte. So hat Griechenland kürzlich ein Impfmandat für Menschen über sechzig Jahren angekündigt. Dem liegt aber der Gedanke zugrunde, dass ältere Menschen gegen ihren Willen geimpft werden müssen, um zu verhindern, dass sie krank werden und ins Krankenhaus kommen. Das liegt zwar im Allgemeininteresse, ist der Sache nach aber eine medizinische Zwangsbehandlung und mit der Menschenwürde nicht vereinbar.

Für diesen Winter zu spät

Ein weiteres  Gegenargument könnte sein, dass es bei einer Impfpflicht nicht nur um den Schutz der Ungeimpften geht, sondern auch um den derjenigen Geimpften, die weiterhin vulnerabel sind. Dazu ist zu sagen, dass in einer freien Gesellschaft ein gewisses Risiko für Leben und Gesundheit durch Viren und andere Gefahren in Kauf genommen werden muss. Die neuen Impfstoffe sind ein Wunder, das wir feiern sollten – aber die Tatsache, dass sie vulnerable Personen nicht in hundert Prozent der Fälle schützen, begründet nicht annähernd den Ausnahmefall, der vorliegen muss, um eine Impfpflicht rechtfertigen zu können.

Würde die Impfpflicht funktionieren? Für diesen Winter käme sie eh zu spät, erklären namhafte Epidemiologen. Es kann also gut sein, dass der Vorschlag einer Impfpflicht nicht davon getrieben ist, ein Problem zu lösen, sondern vielmehr von Ressentiments gegenüber Ungeimpften.

Aber selbst wenn die Impfpflicht im Allgemeininteresse wäre, selbst wenn Spaltung, Wut und Gewalt bei ihrer Durchsetzung verhindert werden könnten, wäre sie nur zu einem hohen Preis zu haben. Deutschland sollte diesen Preis, nämlich den der Verletzung der Grundrechte und der Menschenwürde, nicht zahlen.

Bild: Deutschlandradio/Tarik Ahmia

Kai Möller studierte Jura in Freiburg und Oxford. Er lehrt als Professor of Law an der London School of Economics (LSE). In seiner Forschung beschäftigt er sich aus globaler und rechtsvergleichender Sicht mit den Grund- und Menschenrechten. Er lebt in London und Berlin.

Quelle: Deutschlandfunk Kultur

Goldküste24/Patricia Rutz/Deutschlandfunk Kultur