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11.03.2022

Fahrlässige Fahrerflucht – geht das?

Mirco Dello Stritto: «Für manche Menschen ist es nicht logisch, dass man fahrlässig fliehen kann.» Bild: Top medien/ Linth24
Anwalt Mirco Dello Stritto beantwortet auf Linth24 Rechtsfragen. Folge 3: Kann Fahrerflucht auch fahrlässig begangen werden?
  • Kolumne von Anwalt Marco Dello Stritto (Linth24)

Als Anwalt erreichte mich von Herrn D. folgende Frage: «Ein Mann behauptet, dass ich ihn auf dem Parkplatz eines Supermarktes angefahren und leicht verletzt habe, als ich mit meinem SUV ausparkierte. Ich habe davon allerdings überhaupt nichts gemerkt und bin ganz normal weitergefahren. Nun wurde ich von der Staatsanwaltschaft mit Strafbefehl nicht nur wegen fahrlässiger Körperverletzung, sondern auch wegen fahrlässiger Fahrerflucht verurteilt. Kann das sein?»

Anwalt Dello Stritto gibt Antwort

Für den Verkehr auf öffentlichen Strassen, wozu auch der Parkplatz eines Supermarktes zählt, gilt das Strassenverkehrsgesetz (SVG).

Wer als Autofahrer bei einem Verkehrsunfall einen Menschen verletzt hat und die Flucht ergreift, macht sich der Fahrerflucht strafbar (Art. 92 Abs. 2 SVG). Diese Gesetzesbestimmung äussert sich aber nicht konkret darüber, ob nur die vorsätzliche oder auch die fahrlässige Fahrerflucht strafbar ist. Grundsätzlich ist im SVG immer auch die fahrlässige Handlung strafbar, ausser der entsprechende Gesetzesartikel stellt ausdrücklich nur vorsätzliches Handeln unter Strafe.

Für manche nicht logisch

Nun ist es aber für manche Menschen nicht logisch, dass man fahrlässig fliehen kann. Für sie ist in den Worten "Flucht" und "ergreifen" ja bereits implizit enthalten, dass der Beschuldigte etwas vom Unfall gemerkt hat. Wenn jemand die Flucht ergreift, entscheidet er sich also bewusst, von einem Unfall davonzufahren. Bei einer fahrlässigen Tat ist dem Täter hingegen nicht direkt bewusst, etwas Widerrechtliches zu tun. Deshalb soll nur die vorsätzliche Fahrerflucht strafbar sein.

Bundesrichter wollen Entziehung verhindern

Das Bundesgericht ist dieser Argumentation in seinem Urteil vom 25. September 2020 (BGE 146 IV 358) aber nicht gefolgt. Die Bundesrichter haben vielmehr bestätigt, dass Fahrerflucht sehr wohl auch fahrlässig begangen werden kann. Begründet wurde dies einerseits mit dem oben erwähnten Grundsatz, wonach ohne ausdrückliche Bestimmung im SVG immer auch die fahrlässige Handlung strafbar ist. Andererseits will das Bundesgericht in praktischer Hinsicht verhindern, dass sich beschuldigte Personen mit der Behauptung einer Verurteilung entziehen, sie hätten vom Unfall überhaupt nichts gemerkt.

In rechtlicher Hinsicht korrekt

Somit machen sich nach heutiger Rechtspraxis auch diejenigen Autofahrer wegen Fahrerflucht strafbar, die aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit den Verkehrsunfall überhaupt nicht bemerkt haben. Ihre Verurteilung wegen fahrlässiger Fahrerflucht im Strafbefehl ist somit in rechtlicher Hinsicht korrekt.

Anwalt Dello Stritto

Mirco Dello Stritto schreibt für Linth24 monatlich eine Kolumne zu Rechtsfragen. Der Jurist ist in Rapperswil-Jona aufgewachsen und hat an der Universität Zürich studiert. Zudem hat er sich zum Fachanwalt SAV Erbrecht weitergebildet. Seit 2014 arbeitet er in der Kanzlei Rhyner Rechtsanwälte Notare, Rapperswil und Glarus. Seit 2018 ist er auch öffentlicher Notar im Kanton St. Gallen. Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind Erbrecht und Vertragsrecht.

Mirco Dello Stritto, Rechtsanwalt und Notar/Goldküste24