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Uetikon am See
25.08.2022

Was für eine tolle 1. August-Feier!

Im Verlauf die Rede von Christian Dietz-Saluz. Bild: zsz.ch und killwangen.ch
Herzlichen Dank nochmal an das Haus Wäckerling für die feine Verpflegung und die Gastfreundschaft, an den Musikverein Uetikon für die musikalische Darbietung und an Christian Dietz-Saluz für die tolle Rede.
  • 1. August 2022, Christian Dietz-Saluz

Über 30 Jahre habe ich für die Uetikerinnen und Uetiker geschrieben. Heute darf ich endlich einmal zu euch reden. Guten Abend! Ich freue mich mit euch unseren Nationalfeiertag zu feiern. Auch wenn ich jetzt rede, bleibe ich meinem Beruf treu. Ich werde ein Loblied auf die von vielen geringgeschätzte Kommunalpolitik und die Bedeutung der Regionalmedien anstimmen.

Kurze Zwischenfrage: Wer war an der letzten Gemeindeversammlung? Wer hat am 15. Mai die Gemeindebehörden gewählt? Das sind überdurchschnittlich viele. Aber wer an eine 1. August-Feier kommt um sich eine patriotische Rede anzuhören, ist von Natur aus hart im Nehmen und sich seiner Bürgerpflichten bewusst.

Tatsache ist: Für das Transplantationsgesetz (54 Prozent) gingen am 15. Mai in Uetikon um fast ein Viertel mehr an die Urnen als für die gleichzeitigen Gemeindewahlen (44 Prozent). Spitzfindig gesagt: Das, was niemand hofft, dass er oder sie je einmal braucht, hat mehr Leute bewegt als wer in den nächsten vier Jahren in Uetikon regiert und über sie bestimmt.

Und dass an einer Gemeindeversammlung meist nur rund 5 Prozent der Stimmberechtigte kommen, zeugt auch nicht gerade von demokratischer Euphorie. Okay, man kann es auch als indirekte Anerkennung deuten: Die Gemeinde macht
einen guten Job, also muss ich nicht hingehen.

Das ist aber leider nur die halbe Wahrheit. Die ganze Wahrheit stimmt nachdenklich: Die meisten Menschen interessieren sich schlicht nicht für die Politik im Dorf – ausser es geht um ihre persönlichen Anliegen. Interesse an Weltpolitik? Sicher! Bundespolitik – ja klar! Kantonspolitik? Kommt drauf an! Kommunalpolitik? Das ist doch langweilig!

Schade, wenn man dem, das weiter weg passiert mehr Aufmerksamkeit schenkt als für das vor der Haustüre. Ich glaube, dass erst, wer das Kleine kennt, das grosse Ganze verstehen kann.

Die Politik fängt im Dorf an. Weil, wie die Familie die kleinste Zelle in der Gesellschaft ist, so ist die Gemeinde die kleinste Einheit vom Staat. Wenn es unten nicht funktioniert, dann klappt es auch oben nicht. Und darum mache ich mir Sorgen über die Entwicklung.

Konkret – Drei Sorgen


1. Desinteresse an der Kommunalpolitik.
2. Misstrauen gegenüber den traditionellen Medien.
3. Vertrauensverlust in Staat und Behörden.

Jeder dieser drei Punkte bedeutet eine Schwächung von den Werten, deren wir uns heute am 1. August, besinnen: Freiheit und direkte Demokratie.

Gestatten Sie mir eine persönliche Haltung zum Thema Freiheit. Sie wird heute von einigen Mitmenschen – teils unter Treichlergeläute – lautstark als Grundrecht gefordert, wenn immer notwendige Massnahmen verfügt werden. Das hat die Pandemie erneut bewiesen. Für mich rufen diese Menschen Freiheit, meinen aber Egoismus. Denn vor der Freiheit steht immer die Verantwortung für die Mitmenschen. Die Grundrechte, also unsere Verfassung funktionieren ja nur,  wenn sie vom Verantwortungsbewusstsein aller Menschen im Land getragen werden.

Machen, was sie wollen

Darum: Nur wer Verantwortung trägt, ist der Freiheit würdig. Das haben schon die drei Ur-Eidgenossen am Rütli bewiesen. Sie waren sich der Verantwortung bewusst, als sie sich für die Freiheit entschieden und gegen die Habsburger verschworen hatten.

Verantwortung kann man aber erst tragen, wenn man informiert ist. Darum ist das Desinteresse an der Politik, besonders an der Gemeindepolitik so schädlich. Wer nicht Bescheid weiss, kann nicht mitreden, kann nicht mitentscheiden. Und das Mitreden, Mitentscheiden beginnt hier im Dorf – nicht in Zürich bei kantonalen Abstimmungen, nicht in Bern bei Bundesvorlagen.

Hier vor der Haustüre zeigt sich erst, was das neue Gesetz und die Initiative wert ist. Hier im Dorf müssen wir das ausbaden, was anderswo bestimmt wurde. Und ihre Gemeindebehörden müssen diese Vorgaben von oben für ihre Bevölkerung möglichst einfach und alltagspraktisch umsetzen. Darum halte ich es für wichtig, wenn wir alle vier Jahre die Frauen und Männer wählen, die genau das für uns machen sollen.

Darum delegieren wir ja auch Mitbürgerinnen und Mitbürger aus unseren Gemeinden in den Kantonsrat und ins Bundesparlament. Sie sollen dort ihre Erfahrungen einbringen, die sie zuhause machen. Weil Politik im Dorf anfängt – und
hier auch mit dem Vollzug wieder endet.

Es gibt zur Demokratie viele Zitate von berühmten Staatsleuten, Philosophen und Schriftstellerinnen. Mir gefällt ein Spruch zur Demokratie am besten, der von einem Mann stammt, den wir in der Schweiz verehren. Mani Matter. Der Berner Liederpoet notierte einst zur Demokratie – Zitat:

«Die machen ja doch, was sie wollen. Dieser Satz zeigt deutlich ein falsches Ideal [der Demokratie]; es geht nämlich davon aus, dass ‹die› (das heisst: die da oben) machen sollten, was wir wollen. Aber das ist ja gar nicht durchführbar. Wir wollen ja nicht alle dasselbe.»

Wie immer bei Matter hinterlässt er uns mit seinen Sätzen grossartige Lebensweisheiten zum Nachdenken. «Wir wollen ja nicht alle dasselbe». Genau das ist der Kern der Demokratie nach Schweizer Muster. Sie ist die Auseinandersetzung
von Argumenten – bis sich ein Konsens und eine Mehrheit gebildet haben. Nicht schwarz oder weiss, nicht alles oder nichts, nicht entweder oder - sondern eine Entscheidung, die für alle tragbar ist. Das ist urschweizerisch!

Aber Demokratie braucht – wie die Verantwortung – Informationen, um sich eine Meinung bilden, um sich in die Diskussion einbringen zu können. Woher kommt sie? Jetzt bin ich bei meinem Kerngebiet angelangt: Bei den Medien. In meinem Fall die Regionalzeitung. Sie ist immer noch die ideale Plattform für die Information aus den Gemeinden.

Die Regionalzeitung breitet im Vorfeld der Entscheidung das Pro und Kontra aus. Sie hinterfragt und zeigt, was das für die Einwohner bedeuten könnte, wenn so oder so entschieden würde.

Glauben Sie mir, Lokaljournalismus ist Knochenarbeit. Hier kämpft man um jede Information, die von Laienpolitikerinnen und –politikern – wir befinden uns ja im Herzen des Milizsystems – gehütet werden, um nur ja nichts Falsches zu sagen. Mediensprecherinnen und professionelle Kommunikationsverantworliche sind auf Gemeindeebene noch rar. Gemeindeschreiber wollen sich erst beim Präsidenten absichern, der möchte lieber erst die nächste Ratssitzung abwarten und schon bevor er etwas gesagt hat, alles gegenlesen.

Was ich damit sagen will: Dieser engagierte, seriöse, neutrale Journalismus kostet Geld. Viele Menschen glauben heute, verdorben durch Pendlerzeitungen und Internet, dass Information ein kostenloses Gut ist. Das ist leider neben dem Desinteresse an der Politik und der nachlassenden Bereitschaft zur Verwurzelung am Wohnort der Hauptgrund für den Abonennten-Schwund. Diesen Leuten sei gesagt: Auch Gratisinformation hat immer einen Preis: Die Einseitigkeit –und die Absicht dahinter.

Das ist unschweizerisch

Das gilt übrigens auch für die Websites, Weisungshefte und Flugblätter der Gemeinden. Sie informieren zwar, aber das ist noch keine Demokratie. Ein Diskurs, eine Diskussion finden auf diesen Plattformen nicht statt. Diese demokratische Aufgabe übernehmen – neben den Parteien – die traditionellen Medien. Sie fragen nach bei Behörden, Parteien und Betroffenen im Dorf. Sie wägen ab, vergleichen, erklären. Das Ziel ist hochgesteckt: Sie wollen mit ausgewogener Berichterstattung Meinung ermöglichen.

Ich betone: Ermöglichen, nicht vorgeben. Das ist in der Schweiz ein Wesenszug der anerkannten Medien – wozu ich die unabhängigen Regional- und Lokalzeitungen zähle. Indem jede und jeder sich durch die Informationen fragen kann, was das für sie oder sein Umfeld bedeutet. Und danach entscheidet. Darum trifft mich das à priori-Misstrauen gegenüber den Medien im Herzen.

Die Pandemie machte sie zur Zielscheibe von Frustration und Unwillen. Als ob Maskenpflicht, Abstandshalten und Lockdowns von den Medien verfügt worden wären. Sie haben doch nur verkündet, was autorisierte Instanzen beschlossen haben. Das sind also die Instanzen, die wir gewählt haben. Das machte die Medien schon für viele Leute verdächtig und mitschuldig an der Misere. Man wirft ihnen vor, nur die staatliche Meinung zu verbreiten aber sich zu weigern, alternatives «Wissen» zu kolportieren. Die Medien werden kurzerhand zu Komplizen einer Diktatur gestempelt. Welch ein ungerechter Unsinn!

Zum einen gibt es kaum ein Land auf der Welt, das wie die Schweiz mit verhältnismässigen Massnahmen die Pandemie bekämpft hat. Ausgangssperren gab es hier nie. Und es gibt kaum ein Land auf der Welt, das mit derart unkomplizierter Finanzhilfe die Wirtschaft am Laufen hielt.
Zum anderen: Würden die seriösen Medien auf jeden selbsternannten Guru hören und dessen abstruse Theorien ungeprüft verbreiten, hätten wir Anarchie. Wenn aber legitimierte, also gewählte oder ordentlich bestellte Experten sagen, wir brauchen diese Massnahme, weil wir sie für die bestgeeignetste halten, dann hat das Gewicht. Sicher mehr Gewicht als das, was selbsternannte Fachleute als «Wahrheit» zum Besten geben – und  Fragen verbitten. Das ist unschweizerisch!

In der Schweiz hat ein Bundesrat, ein Regierungsrat, ein Gemeinderat nie auf eine kritische Frage der Medien geantwortet «Fake News», «Lüge» oder «das ist Meinungsdiktatur!». Darum ist der Vertrauensverlust in die seriösen Medien auch ein Verlust für das demokratische Zusammenleben. Er spaltet uns. Genauso wie die wachsende Skepsis gegenüber Staat und Behörden. Aber nur sie repräsentieren in unserem Land Legislative, Exekutive und Judikative. Weil wir sie durch demokratische Wahlen dazu ermächtigt haben. Und nicht einen wütenden Besserwisser an einer Demo.

Darum ist urschweizerisch, wenn man sich breit und durchaus kritisch informiert. Das schützt vor blinder Gefolgschaft von Propaganda und politischem Populismus. Weil Mündigkeit kommt von Informiertheit. Dann kann man mitreden.
Dann kann man mitentscheiden. Dann kann man sich am öffentlichen Leben beteiligen.

Zum Beispiel an einer Gemeindeversammlung. Gehen Sie wieder mal hin, auch wenn Sie die Geschäfte nur wenig betreffen. Aus meiner Erfahrung von über 220 Gemeindeversammlungen kann ich versichern: Es lohnt sich immer. Alleine schon, weil man dort spürt, ein wichtiger Teil dieser Dorfgemeinschaft zu sein.

Demokratie beginnt im Dorf

Schliesslich: Auch Heimat fängt dort, wo man lebt – und nicht im Bundeshaus, auf einem Berggipfel oder beim Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest oder im Fussballstadion. Weil nur hier die Identität und das Bewusstsein wachsen für das Gefühl: Wer sind wir? Und wer bin ich? Was ist mein Anteil an diesem Land?

Darum fängt für mich die Demokratie im Dorf an bevor sie nach Zürich und Bern zieht. Und hier endet sie auch wieder – mit dem Vollzug von den Entscheiden die dort gefällt werden, und die unser Leben daheim bestimmen.

Bleiben Sie immer gut informiert. En schöne 1. August mitenand!

Gemeinde Uetikon am See/Goldküste24