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15.10.2022

Genuss statt Verdruss

Die langen, warmen Abende gehören sind vorbei, doch Neues, Schönes erwartet uns. (Symbolbild) Bild: Pixabay
Viele Menschen sagen mir; «ach, jetzt wird es schon so früh dunkel». Da kann ich ihnen nur Recht geben – doch mit dem depressiven Tonfall mag ich nicht mitgehen.

Eine Freundin sagte mir letzthin, wie sie das schade fände, dass der Sommer vorbei, es so früh dunkel und auch viel weniger warm sei. Da hat sie im Grundsatz recht, doch der Tonfall in ihrer Stimme deutete auf Traurigkeit, Verlust und Vergangenheit hin, mit dem ich nicht mitschwingen wollte.

Ich beschrieb ihr etwas euphorisch, wie schön der Herbst sei, wie sehr ich mich auf die gemütlichen Stunden zuhause freuen würde. Es ist eine andere Ansicht dieser Zeit. Mir gefällt die Verfärbung des Laubes, die reifen Äpfel an den Bäumen, ebenso die Trauben an den Reben. Der Abend wirkt golden, wenn der Tag mit Sonne beschenkt wird. Überhaupt geniesse ich in jeder Jahreszeit das Farben-Licht-Spiel. Jeder Baum trägt jetzt farbige Blätter. Die verschiedenen Farbnuancen überraschen mich immer und immer wieder. Mit dem Fotoapparat lassen sie sich kaum einfangen. Ich geniesse sie für mich am Baum. Wenn jemand mit mir läuft, dann teile ich meine Freude gerne. Wenn der Nebel sich langsam verzieht, und plötzlich die Sonne zaghaft hervortritt, bin ich hin und weg wie früher als kleines Mädchen. Es ist schon fast Zauberei.

Bei Regen und bei Sturm ist es am gemülichsten zuhause in der warmen Stube. (Symbolbild) Bild: Goldküste24

Richtige Idee zur richtigen Zeit

Ich mag es auch, wenn es windet, stürmt, mir die Blätter um den Kopf wirbeln, und ich dann getrost eine warme Stube aufsuchen und dort im Trockenen weiter dem Treiben zuschauen kann. Manchmal sitze ich mit einem Buch in der Hand auf dem Sofa, stricke, oder plaudere mit einem oder mehreren netten Menschen. Ein heisser Kaffee, Tee oder Kakao auf dem Tisch, vielleicht noch ein Gebäck für den «Gluscht» und schon ist die Herbstszene für mich perfekt.

Spannend ist es, wie immer die richtigen Ideen aufkommen. Ich denke jetzt nicht an mein nächstes Picknick oder an einen abkühlenden Schwumm im Fluss oder See. Auch die Gartenparty ist nicht aktuell in meiner Planung. Stattdessen denke ich an Kerzenlicht, an einen Herbstmarkt, an feinen Kuchen, ein gutes Buch, Fondue, Raclette, schon ein Blick auf die Adventszeit, Weihnachten, Schnee – der Herbstschalter ist eingeschaltet, was mich amüsiert.

Zusammen Kaffee trinken ist eine wunderbare Art, sich zu wärmen und auszutauschen. (Symbolbild) Bild: Pixabay

Freudvoll statt trüb

So hole ich meine Freundin in ihren eher trüben Gedanken ab und schmiede mit ihr Pläne. Wir machen zusammen einen Herbstspaziergang im bunten Wald, danach essen wir Marroni und trinken einen heissen Punsch als Abschluss. Wir tauschen unsere Buchtipps aus, schauen uns mögliche Strickobjekte an und machen uns auch Gedanken über ein Abendgericht. Diese Gedanken legen einen sanften Zug auf das Gesicht meiner Freundin. Für einen  Moment vergisst sie die Tage, die ihr einfach nur noch grau erscheinen. Sie lächelt und beginnt, ihre Ideen einzubringen.

Da mir bewusst ist, dass ein Spaziergang nicht reicht, muntere ich sie gleich auf, dass wir uns wieder verabreden. Ich möchte ihr die Schönheit dieser Jahreszeit aufzeigen, damit sie nicht immer an die fortschreitende Dunkelheit denkt. Nach dem Waldspaziergang winkt immer ein gemütliches Café am Rande der kleinen Stadt. Es gibt eine grosse Tee- und Kaffeeauswahl, aber auch verschiedene warme Milchgetränke. Die süssen Verführungen lassen die angehende Dunkelheit draussen für einen Augenblick vergessen. Es macht mir Spass, mir und anderen die Zeit schön, attraktiv, geheimnisvoll, freudvoll und angenehm zu gestalten, wie es gerade passt.

Gemütlicher Zvieri in schönem Ambiente hebt die Laune auch an trüben Tagen. (Symbolbild) Bild: Pixabay

Meine Lebensphilosophie

Mit den Jahren habe ich angefangen, mich über alles zu freuen, was mir durchs Jahr begegnet. Damit meine ich nicht nur die verschiedenen Impressionenn der Jahreszeiten, sondern auch Geschichten, Diskussionen, Ereignisse, Probleme, Tatsachen oder einfach das Leben.

Ich weiss nicht, wann ich das letzte Mal wirklich lange frustiert war. Natürlich habe auch ich Tage, die nicht rund laufen wollen. Schnell versuche ich die Situation von meiner Seite her zu betrachten und mich zu fragen, was kann ich jetzt gerade ändern, damit alles etwas leichter wird? Es ist zu einem Spiel geworden, die Welt von meiner Warte aus zu betrachten. Ab und zu ergeben sich ganz lustige Momente. Ich ertappe mich oft, dass ich eine schwierige Lage noch schwieriger mache, weil ich auf gewissen persönlichen Grund- oder Glaubenssätzen hocken bleibe. Wenn es mir gelingt, nur ansatzweise diese anzukratzen, dann sieht der Moment, indem ich stecke, schon etwas freundlicher aus. Es gibt viele Momente, in denen ich einfach über mich selbst lache.

Etwas ganz anderes tun

Damit das noch besser gelingt, werfe ich manchmal mein ganzes Tagesprogramm über den Haufen und mache etwas komplett anderes. Das hat sich bewährt. Gibt mir Zeit und auch Raum, gewisse Dinge aus einer anderen Perspektive zu sehen.

Vielleicht sagen mir gewisse Menschen, dass ich das nur könne, weil ich einer privilegierten Arbeitssituation bin. Für mein Tagesprogramm haben sie Recht. Ich kann meine Arbeitszeit einteilen. Doch auch wenn fixe Arbeitszeiten den Tag bestimmen, sehe ich eine Möglichkeit, vor der Arbeit oder nach der Arbeit etwas zu tun, was man sonst nicht tun würde. Vielleicht gönnt man sich vor der Arbeit ein Gipfeli und einen Kaffee in einem hübschen Café, das schon um 07.00 Uhr offen hat, oder man geht abends ein Stück zu Fuss nach Hause, besucht noch gute Freunde, nimmt ein heisses Bad, oder was sonst gefällt.

Der Bücherwahl sind keine Grenzen gesetzt. (Symbolbild) Bild: Pixabay

Phantasievolle Lebensreise

Das Leben fühlt sich für mich so oft leicht an, macht es spannend, und ein trüber Herbst- oder kalter Wintertag darf sich da ruhig hinzugesellen. Diese Tage verderben mir nicht mein Leben, wie auch ein Konflikt nicht meine ganze positive Lebenseinstellung verändern kann.

Ich bin ein sehr kritischer, manchmal misstrauischer, pragmatischer und auch realistischer Mensch – trotzdem hole ich meine Kraft aus meiner unbändigen Phantasie, meiner Freude am Leben, meinen Bildern und meiner Lebensanschauung. Das Leben ist für mich eine Reise mit verschiedenen Stationen, die mir den weiteren Weg deuten. Das unterwegs sein gefällt mir sehr gut im Herbst, Winter, Frühling oder Sommer!

Patricia Rutz/Goldküste24