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Kultur
21.10.2022

Lyrik, Krimi und Krypto bei «Zürich liest»

Wie in benediktinischen Klöstern gibt es bei «Zürich liest» Tischlesungen: Festivalzentrum Karl der Grosse. Bild: Zürich liest
Von 26. bis 30. Oktober findet in Zürich und rundherum zum 12. Mal das Festival «Zürich liest» statt.

Mit über 200 Veranstaltungen an über 100 Orten ist es von schwindelerregender Fülle. Die Festivalleitung um Martin Walker und Arlette Graf spricht lieber von einem «himmlischen Tummelfeld».

Die Zwinglistadt Zürich war schon Holzboden für vieles, am wenigsten wohl für die Literatur; der reformierte Glaube nämlich ist eine eigentliche Schriftreligion. In der Tat ist die Limmatstadt schon seit Jahrhunderten ein wichtiger Schauplatz des deutschen «Schrifttums». Bis hier aber ein Literaturfestival ausgetragen wurde, hat es etwas gedauert: Erst seit 2011 heisst es im Herbst jeweils «Zürich liest».

Das Programm der 12. Ausgabe des Festivals zeigt nun, dass es sich mittlerweile in fast jedem Winkel der Stadt eingenistet hat, aber auch da­rüber hinaus im Kanton, von Dietikon bis Stäfa und besonders in Winterthur. Es wird, in den Worten der Veranstalter, zum «himmlischen Tummelfeld» aller Literatur- und Bücherfreunde, in Anlehnung an eine Aussage von Virginia Woolf. Bei über 200 Veranstaltungen an über 100 Orten würde es nicht reichen, sich wie Zwingli vierteilen zu lassen, um sich überall tummeln zu können.

Donna und «Emma»

Irgendein Motto kann es bei solcher Fülle kaum geben. Vielleicht am ehesten: von jedem und für jeden etwas. Natürlich dürfen weder ein paar – noch ganz und gar nicht verwitterte – Aushängeschilder, wie zum Beispiel Thomas Hürlimann (dessen Lesung schon weit im Voraus ausverkauft war), Jonas Lüscher, Gertrud Leutenegger oder Ilma Rakusa, noch spannende Schweizer Newcomerinnen wie Rebecca Gisler und Sarah Elena Müller fehlen. Daneben treten verheissungsvolle junge ­Autoren aus dem Ausland auf. Für morbiden Suspense sorgt die Krimiautorin Donna Leon, für feministische Kontroversen die berühmte Alice Schwarzer.

Einen Mikrofokus kann man am Samstag, 29. Oktober, ausmachen, wo im Festivalzentrum Karl der Grosse im Schatten des Grossmünsters verschiedene Facetten (auto)biografischen Schreibens zu er­leben sind, mit Margrit Schriber, einer Grande Dame der Schweizer Literatur, Rüdiger Safranski und anderen.

Spoken-Word-Poeten und Benediktiner

Neben literarischer Prosa finden sich an diametral entgegengesetzten Punkten des Ausdrucksspektrums diverse Lyrik- und Spoken-Word-Lesungen und solche zu Sachbüchern. In einem von ihnen zum Beispiel geht es um die Rolle der Benediktiner beim Aufbau der europäischen Zivilisation (Paolo Rumiz), in einem anderen um die Bedeutung der sozialen Herkunft («Klassismus» von Francis Seeck), aber auch zürcherische Themen wie die Stadtplanung in Zürich Nord und die Entwicklung des Limmattals haben Platz.

«Zürich liest» bedeutet nicht ausschliesslich Lesungen, sondern auch Gespräche. Ein Höhepunkt ist die ins Festival inte­grierte offizielle Eröffnung des «Zen­trums für literarische Gegenwart» der Universität Zürich am 27. Oktober, an der die preisgekrönte deutsche Autorin Anne Weber («Annette, ein Heldinnenepos») mit Professor Philipp Theisohn diskutiert und aus ihren jüngsten Werken liest.

Wo bleibt Zwingli?

Sehr gut steht es der Finanzstadt Zürich an, dass auch die neuesten Entwicklungen in der Finanzwelt zur Sprache kommen, einen ganzen Abend lang: mit einer Einführung von Alexandra Papadopoulos in die Krypto-Basics, einem Gespräch mit dem Autor Andreas Brandhorst über ­seinen Thriller «Das Bitcoin-Komplott» und einer Diskussionsrunde über die Bedeutung der umstrittenen Non-fungible Tokens (NFTs) für die Kunst- und Kulturwelt. Am anderen Ende der Skala gibt es aber auch ein reiches Kinderprogramm.

Nur zu Zwingli findet man nichts. Nun gut, sein Jubiläum (500 Jahre Reformation in Zürich) feierten wir erst gerade …

Informationen und Tickets:

www.zuerich-liest.ch

Tobias Hoffmann/Goldküste24