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Kanton
06.10.2023
07.10.2023 07:26 Uhr

Bilanz von Zürcher Nationalräten

Grüsse aus dem Nationalratssaal: Hier zu sehen ist eine Postkarte von 1921. Bild: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv
Fünf Nationalräte aus dem Kanton Zürich erzählen, wie sie den Politalltag in Bern erleben.

Lorenz Steinmann

Die angefragten sieben Nationalrätinnen und Nationalräte unseres Kantons übernachten allesamt in Bern, wenn Session ist. Dazu kommen viele Kommissionssitzungen, so dass zu den zwölf Wochen Session (viermal pro Jahr je drei Wochen) noch etliche Berner Tage (und Abende) anfallen.

So kommt es, dass sogar passionierte Automobilisten wie Thomas Matter (SVP) aufs Pendeln verzichten. «Das lohnt sich einfach nicht», sagt der Nationalrat, der seit Beginn seinen Wahlkampf mit einem 1974 VW Bulli bestreitet. Matter braucht zwei Stunden von seiner Haustür in Meilen ins Bundeshaus. Er übernachtet deswegen jeweils von Montag bis Donnerstag und in der letzten Sessionswoche bis Freitag in einem Stadtberner Hotel. «Am Freitag ist meist schon am Mittag ­Sessionsende, da gehts mit dem Zug nach Hause.» Er habe schon einiges erlebt – allerdings nicht nur im Zug. «Ich wurde auch schon mit Bier überschüttet», erzählt Matter. Anzeige erstattet habe er ­deswegen aber noch nie, auch nicht beim jüngsten Vorfall in Winterthur am vergangenen Freitag. Im Gegensatz etwa zu Regierungsrat Mario Fehr (parteilos, ehemals SP), der bei einem Fussballmatch in Winterthur keinen Spass verstand. Er liess die Kantonspolizei ermitteln.

Katharina Prelicz-Huber (Grüne) aus Zürich verzichtet ebenfalls aufs Pendeln. Dabei erlebt sie die Zugfahrten meist positiv. «Es ergeben sich vielfach sehr gute Diskussionen, das finde ich spannend», so die Nationalrätin der Grünen. Sie werde öfters angeschaut, dann heisst es: «Sind Sie das?» Hässige Blicke gebe es auch, aber Negatives werde eher per Mail mitgeteilt. «Oft muss ich im Zug Red und Antwort stehen, aber das gehört zum Job», erzählt Prelicz-Huber. Was sie sehr geniesst, ist ihr Hotelzimmer. «Das ist wie mein zweites Zuhause. Nach einem langen, strengen Tag möchte ich am liebsten nichts mehr sagen», erklärt die 63-Jährige. So sei eine WG keine Option. Etwas, was die drei Nationalräte Mike Egger (SVP), Franziska Ryser (Grüne) und Andri Silberschmidt (FDP) seit ihrer Wahl im Jahr 2019 mehr oder weniger konsequent praktizieren. Noch diesen Sommer bekräftigen die drei im Sommertalk auf Tele Züri, dass das Experiment nach wie vor klappe.

«Mein Rat an alle, die neu nach Bern wollen: Brecht sporadisch mal aus den Bundesmühlen und dem Lobbying aus.»
Hans-Peter Portmann, Nationalrat FDP

Lieber alleine wohnt auch Hans-Peter Portmann. Dabei hat der FDP-Nationalrat und Finanzexperte eben sein Konzept geändert: «Nach vier Jahren Hotelaufenthalten mit mehr als fünfzig Übernachtungen in Bern habe ich mich entschieden, ein kleines Studio zur Festmiete zu suchen. Ich war das ständige Kofferpacken und frühzeitige Reservieren von Hotelzimmern leid, was übrigens auch sehr ermüdend war.» Doch sein geplantes Unterfangen sei gar nicht so einfach gewesen oder dann «innerhalb unseres Spesenbudgets nicht bezahlbar». Er erzählt gleich selber: «Also verschlug es mich in ein Aussenquartier, wo sich vor allem das Leben der Multikulti-Bevölkerung von Bern abspielt. Und ich habe es genossen. Denn nach ­langen Sitzungstagen und ausgiebigen Menü-Konsumationen an weiss gedeckten Tischen war es eine Wohltat, ab und zu mal einen Döner Kebab zu verzehren, und das im Kreise von Mitmenschen, mit denen man nicht stundenlange politische Diskurse führen muss. Wie es aber das Schicksal will, hat mein Hausbesitzer in Bern beschlossen, seine Liegenschaften total zu sanieren und hat allen die Mietverträge gekündigt. Somit musste ich vor zwei Jahren ein neues Studio suchen und wurde zum Glück im wunderschönen Monbijou-Quartier fündig. Zwar habe ich den Kebab-Laden mit einem Coop um die Ecke abgetauscht, meine spannenden ­Gespräche mit der Bevölkerung kann ich aber ab und zu mal rund um das Marzilibad zu späten Abendstunden weiterhin anzetteln. Mein Rat an alle, die neu nach Bern wollen: Brecht sporadisch mal aus den Bundesmühlen und dem Lobbying aus und sucht euch kleine Oasen, um die ­eigene Batterie wieder aufladen zu können.»

Nik Gugger (EVP) wiederum geniesst das Hotelleben ausgesprochen, wie er erklärt. Das Personal sei immer sehr zuvorkommend im Hotel Bern, das gerade neben dem berühmten Zytglogge-Turm liegt. Neben den Sessionen kommen laut Gugger noch gut 20 Tage Kommissionssitzungen hinzu. «Weil ich auch noch dem Europarat in Strassburg angehöre, kommen einige Hotelnächte zusammen», erzählt der Nationalrat aus Winterthur. Eine spezielle Episode vom Zugfahren hat Gugger auch auf Lager. Einmal habe ihn jemand von hinten auf die Schulter getippt, allein wegen seines Berner Dialekts habe man ihn erkannt. «Das hat mich schon erstaunt», sagt der Nationalrat mit Wohnsitz in Winterthur.

Jörg Mäder (GLP) berichtet, dass auch er zu den Pendlern gehöre. «Bei mir ist speziell, dass ich kein Stammhotel habe, in dem ich immer absteige, sondern immer wieder wechsle und auch neue ausprobiere. Ich bin schon sicher in 20 verschiedenen Hotels gewesen. Ich schaue eher auf den Preis, da ich eh nur zum Schlafen dort bin. Zudem stört es mich nicht, wenn es nicht gerade beim Bundeshaus ist und ich am Morgen/Abend auch mal 30 Minuten laufen muss. Oder besser gesagt darf. Ich geniesse es nämlich», so der Opfiker. Die Reiserei hingegen war bisher laut Mäder bisher unspektakulär.

«Pendeln ist keine Option, auch wenn das von Kloten aus möglich wäre. Wenn Session ist, muss man sich auch auf Bern einlassen.»
Priska Seiler Graf, Nationalrätin SP

Priska Seiler Graf (SP) wohnt zur Miete in einem Studio in der (Berner) Altstadt. Das sei eine kleine Einzimmerwohnung mit Kochmöglichkeit und Nasszelle. «Für mich ist es keine Option, jeden Tag zu pendeln, auch wenn das von Kloten aus möglich wäre. Wenn Session ist, muss man sich auch auf Bern einlassen, finde ich, zudem findet vieles auch noch nach Sitzungsschluss statt», ist die Klotenerin überzeugt. Das könne auch mal ein parteiübergreifendes Nachtessen sein, das für das gegenseitige Verständnis durchaus förderlich sei. «Die Sessionswochen haben durchaus auch Klassenlager-Charakter», findet Seiler Graf augenzwinkernd. Sie sei trotz der Wohnung oft im Zug Zürich–Bern unterwegs. Leicht amüsiert hat sie schon spezielle Erfahrungen gemacht.

«Nehmen wir zum Beispiel das Essen im Zug. Auch ich mache das, schliesslich muss man die Zugfahrt sinnvoll nützen. Aber muss es ausgerechnet Chnoblibrot mit Pommes sein? Der Geruch umhüllt das ganze Zugsabteil und lässt sich für den Rest der Fahrt auch nicht mehr vertreiben.» Wie das Schuheausziehen eher eine Zumutung sei auch das laute Telefonieren. «Die Mitwelt interessiert nicht wirklich jedes Geschäft, das lautstark im Zug abgeschlossen wird. Und auch wenn ich gar nicht will, ich muss einfach zuhören und schnell gucken, wer sozusagen vor Zeugen das ganze Zugabteil an den erfolgreichen Geschäftsgängen partizipieren lässt. Unabhängig davon, ob es ein Ruhewagen ist oder nicht.» Modern sei scheinbar auch, den Fensterplatz mit seinem Gepäck zu belegen und sich Richtung Gang zu setzen. Einfach damit ja niemand auf die verwegene Idee komme, sich neben einen zu setzen. Trotzdem bleibt Seiler Graf dabei: «Ich fahre sehr gerne Zug!»

Lorenz Steinmann, Zürich24