Das Klirren von Glas hallt durch die Nacht. Es ist Donnerstag, 10. April 1969, 22 Uhr. Bewohnerinnen und Bewohner der Zimmer über dem Restaurant «Metzg» schrecken auf und wollen wissen, was los ist. Auf der Hinterseite des Lokals entdecken sie einen jungen Mann. Er liegt am Boden, schwer verletzt – heruntergestürzt vom Dach des Lokals. Er wird ins Spital Lachen gebracht.
Drei Tage später wird er aufgrund seiner Verletzungen ins Universitätsspital Zürich verlegt. Am Montag darauf erhält seine Familie die Nachricht über seinen Tod. Aber erst später erfahren seine Angehörigen über die Medien, dass dem hirntoten Patienten zuvor das Herz operativ entfernt worden war. Es hatte als Spenderorgan für die erste Herztransplantation der Schweiz gedient.
Der Vorfall
Beim Spender des Herzens handelte es sich um den 27-jährigen Albert Gautschi, ein Zürcher Privatdetektiv, der laut «March-Anzeiger» seit Januar 1969 in Lachen wohnhaft war. Was sich in der Nacht seines Sturzes abgespielt hat, ist nicht ganz klar. Zeitungsartikel aus der damaligen Zeit bringen ein bisschen Licht ins Dunkel: «Es stellte sich in der Folge heraus, dass der sich als Privatdetektiv ausgebende Bursche von der Seidenstrasse her auf die Terrasse geklettert war und dort durch ein Glasdach hindurch auf den Hintereingang des Restaurants Metzg stürzte (...)».
Demnach beobachtete Privatdetektiv Gautschi einen 43-jährigen Gelegenheitsarbeiter und dessen Liebhaberin durchs Fenster. Als Gautschi von diesem entdeckt wurde, soll ihm der Gelegenheitsarbeiter einen Stoss versetzt haben, der zum Sturz führte. Der Gelegenheitsarbeiter geriet nach dem Vorfall ins Visier der Ermittler. Vor Gericht wurde er aber freigesprochen.
Die Transplantation
Vier Tage nach dem Sturz von Gautschi kam es zur ersten Herztransplantation der Schweiz. Im Universitätsspital Zürich, damals Kantonsspital, gab es einen Patienten, der ein neues Herz brauchte. Der schwer herzkranke 54-jährige Emil Hofmann, bei dem es keine Chance auf Heilung gab. Einzig ein neues Herz konnte ihm noch helfen. Wie es der Zufall wollte, kam genau jenes von Gautschi als Spenderorgan in Frage. Die Ärzte entschieden also den Eingriff durchzuführen. Unter der Leitung des schwedischen Chirurgen Åke Senning lief die Operation reibungslos.
Der Skandal
Direkt nach der Operation wurde eine Pressekonferenz einberufen. Das mediale Interesse an diesem medizinischen Erfolg war enorm. Der «Tages-Anzeiger» etwa berichtete von einem «grossen Tag für die Schweizer Chirurgie». Doch auf die Euphorie folgte Fassungslosigkeit: Denn Journalisten hatten den Namen des Spenders herausgefunden und veröffentlicht. Erst jetzt erfuhren Gautschis Angehörige davon, dass es sein Herz war, das verwendet wurde. Die Empörung war gross und entfachte Diskussionen darüber, ob dieses Vorgehen moralisch vertretbar ist. Die Zeitung «Blick» zitierte damals Gautschis Mutter in der Titelschlagzeile: «Man hat meinem Bub das Herz gestohlen.» Die Familie reichte eine Klage gegen die Ärzte ein. Diese wurde jedoch 1975 vor Bundesgericht abgelehnt.
Der Rückblick
Eine solche Situation wäre heute nicht mehr denkbar. Die Rechtslage in der Schweiz ist inzwischen eine völlig andere – die Entnahme von Organen ist seit 2004 im Nationalen Transplantationsgesetz genau geregelt. Auch das Risiko ist heute völlig anders. Damals ging es Hofmann nach der Operation erst gut. Doch dann begann sein Körper das neue Herz abzustossen. 13 Wochen nach der Trans-plantation starb er. Der Grund: Es gab noch keine Medikamente, die eine Abstossung verhindern hätten können.