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Küsnacht
03.03.2022

«Neue Bäume sollen gewählt werden»

Veränderungen sind in den meisten Fällen gut. Bild: Gemeinde Küsnacht
Bekanntermassen habe ich mich dazu entschieden, bei den Behördenwahlen im Mai nicht mehr anzutreten. Somit lasse ich los, was nicht einfach ist. Wenn ein alter Baum weicht, kann dort ein neuer wachsen.

Für das Nichtmehrantreten gibt es tausend Gründe. Loslassen ist aber häufig schwieriger als Zupacken. So auch in diesem Fall. Der Verzicht auf mein Behördenamt fällt mir schwer, war und bin ich doch mit viel Herzblut und Leidenschaft Gemeinderat. Verschiedentlich wurde mir aus Reihen der Bevölkerung gesagt, dass mein Amtsverzicht bedauert wird. Das tut natürlich gut. Solche Äusserungen sind doch ein Zeichen dafür, dass der Zeitpunkt genau der Richtige ist.

Ein ausgeprägtes Gewohnheitstier
Es kommt zwangsläufig zu Veränderungen im Gemeinderat, der Verwaltungsstruktur und den übrigen Behörden. Persönlich bin ich sehr konstant und ein ausgeprägtes «Gewohnheitstier». Veränderungen mag ich eigentlich nicht so sehr. Und doch bin ich der Überzeugung, dass Veränderungen in den meisten Fällen gut sind. Altes muss erneuert, Bewährtes hinterfragt werden. Versinnbildlicht ausgedrückt kann nur dort ein neuer Baum wachsen, wo ein alter Baum weicht. Wobei ich ja hoffentlich nicht gefällt werde, sondern einfach ins Glied zurücktrete. Mit den neuen Amtsträgerinnen und Amtsträgern kommen neue Sichtweisen und Ideen in die Gremien, was uns gesamthaft vorwärts bringt. Veränderung ist gut, Kontinuität aber auch wichtig. Um beim (hinkenden) forstwirtschaftlichen Vergleich zu bleiben: Ein Wald braucht auch stabile, starke Bäume, welche Sturmböen und Schneelasten Stand halten und die jungen Bäume schützen.

Verschiedene Baumarten mit soliden Stämmen
Es stehen Ihnen erfahrene, bisherige Kandidatinnen und Kandidaten zur Verfügung, so dass in den Behörden für Kontinuität gesorgt sein sollte. Die Wahl der Baumart sei natürlich Ihnen überlassen.

Parteilose sollen unabhängiger sein?
Im Zusammenhang mit Baumart oder – um wieder politischer zu werden – Parteizugehörigkeit höre ich übrigens immer wieder, parteilose Politiker seien im Gegensatz zu Parteimitgliedern «unabhängig» und nicht in einem «Korsett gefangen». Dies verursacht bei mir als Mitglied der FDP.Die Liberalen jeweils ausgeprägte Runzeln auf der Stirn, welche nicht bloss dem zunehmenden Alter geschuldet sind. Zunächst einmal halte ich fest, dass die Partei in den vergangenen Jahren nicht ein einziges Mal Einfluss auf mich zu nehmen versuchte.

Partei nimmt keinen Einfluss
Solch eine Einflussnahme wäre in der Praxis auch nicht denkbar, sind Gemeinderätinnen und Gemeinderäte doch viel näher an den Geschäften dran als ein Parteivorstand. Und unabhängig war und bin ich auch. Die meisten Sachgeschäfte sind herzlich wenig politischer Natur, und eine Parteimitgliedschaft führt bei mir auch nicht zu einer Art Stimmpflicht.

Und ja, auch ich bin mit «meiner» Partei nicht immer einverstanden. Die Partei, welche meine Ansichten und Überzeugungen vollständig spiegelt, gibt es auch bei mir nicht. Das ist wohl bei allen Menschen so, welche sich mit der Politik auseinandersetzen. Und doch spiegelt die Parteizugehörigkeit eine politische Grundhaltung. Man weiss bis zu einem gewissen Grad, woran man bei einem Kandidaten einer Partei ist, für welche Grundwerte er eintritt und wofür er steht. Auch aus diesem Grund üben Parteien in unserer Politlandschaft eine wichtige Funktion aus.

Mär des Parteisoldaten
Damit nehme ich als abtretender Gemeinderat natürlich nicht Stellung im Wahlkampf. Es ist mir aber ein Anliegen, gestützt auf meine eigene Erfahrungen die Mär des Parteisoldaten, der sklavisch das macht, was ihm seine Ortspartei diktiert, zu korrigieren. Es gibt übrigens auch keine Fraktionen im Gemeinderat. Der Gemeinderat als Exekutive unterscheidet sich ganz massgeblich von einem Parlament. Nicht laute, schrille Töne und zahlreiche Protesteingaben sind gefragt, sondern Teamfähigkeit, Sachlichkeit und Kompromissfreudigkeit.

Kritik kommt oft postwendend
Sollte mir als scheidender Gemeinderat ein Wunsch zustehen, so wäre es folgender: Geht pfleglich miteinander um! Ich erlebte in den vergangenen Jahren häufig Kritik gegenüber gemeinderätlichen Entscheiden. Kritik ist natürlich wertvoll und Zeichen unserer gut funktionierenden pluralistischen Gesellschaft. Irritiert zeige ich mich einzig, wenn die Kritik beinahe automatisiert erfolgte, ohne dass vorgängig hinterfragt worden ist, weshalb der Gemeinderat denn so und nicht anders entschieden hat. Es wäre schön, man würde rasch zum Hörer oder in die Tastatur greifen, wenn man sich über einen Entscheid ärgert und in Erfahrung bringen, ob es einen Grund hat, weshalb die Behörde oder die Verwaltung so und nicht anders entschieden hat. Unsere Gemeinde hat eine Grösse, welche einen direkten Kontakt zulässt. In vielen Fällen würde der Ärger durch einen direkten Kontakt schneller verrauchen. Differenzen werden viel besser persönlich geklärt als in Leserbriefspalten ausgetragen. Und fachliche Differenzen dürfen nicht dazu führen, dass der menschliche Kontakt leidet. Wir müssen uns fachlich nicht einig sein und können uns trotzdem schätzen oder sogar mögen.

Im Übrigen bin ich politisch in Küsnacht beinahe wunschlos glücklich. Ich genoss die vielen, wertvollen Kontakte, die Diskussionen und Debatten. Es erfüllt mich mit Dankbarkeit und Demut, durfte ich Teil der Küsnachter Exekutive sein.

Gemeinde Küsnacht, Martin Wyss, 2. Vizepräsident, Vorsteher Sicherheit/Goldküste24