Home Region Schweiz/Ausland Sport Rubriken Magazin Agenda
Lifestyle
24.05.2023

Mit einem Podcast Tabus brechen

Die Schaffhauserin Giulia Sorrentino interviewt in ihrem Podcast «The Shameless Place» Menschen, die ihre persönlichen Lebensgeschichte und Ansichten mit den Hörer:innen teilen. Ziel ist es, Denkanstösse zu mit Scham behafteten Themen zu geben. Bild: Lara Gansser, Schaffhausen24
Ein Ort der offenen Diskussionen: Die Schaffhauserin Giulia Sorrentino spricht in ihrem Podcast «The Shameless Place» mit viel Leichtigkeit und ohne Hemmungen über heikle Themen.

Es gibt Themen in der Gesellschaft, über welche nicht gerne gesprochen wird, die schon fast ein Tabu sind.

Für einmal sitzt Giulia Sorrentino auf der anderen Seite: Normalerweise befragt die 28-Jährige ihre Interviewpartner:innen und Klient:innen, heute stellt sie sich den Fragen der «Bock»-Redaktorin. Neben den persönlichen Life-Coachings, welche die Schaffhauserin seit Herbst 2022 anbietet, hat Giulia Sorrentino den Podcast «The Shameless Place» (Deutsch: der schamlose Ort) ins Leben gerufen. In diesem sprechen Expert:innen und Betroffene über gesellschaftliche Tabuthemen und ihre eigenen Lebensgeschichten: Angefangen bei emotionalem Essen und Fressattacken über Fragen wie «Was willst du wirklich in einer Beziehung?» oder «Was sind die Konsequenzen, ohne einen Vater aufzuwachsen?» bis zu einem Interview mit einer Energieheilerin zum Thema Krankheiten. «Mit meinem Format will ich Denkanstösse zu mit Scham behafteten Themen geben», so die Podcasterin. Die Folgen dauern zwischen 15 Minuten und 1,5 Stunden – 15 an der Zahl hat die Schaffhauserin bisher veröffentlicht und zählt durchschnittlich zwischen 80 und 200 Hörer:innen. 

Das Gespür für Menschen

Giulia Sorrentino ist in Herblingen aufgewachsen und hat dort die obligatorische Schule absolviert. «Ich wusste immer, was ich beruflich nicht will, aber nie, was ich will», erinnert sie sich. Nach dem zehnten Schuljahr, das die Pferdefanatikerin berufsbegleitend neben dem Praktikum zur Bereiterin absolvierte, entschied sie sich nach langem Überlegen für eine Lehre als Coiffeuse. «Ich habe den Beruf geliebt – das Kreative, etwas mit den Händen zu erschaffen und gleichzeitig so viele verschiedene Menschen kennenzulernen.» Auch nach Lehrabschluss arbeitete sie über fünf Jahre im Beruf weiter. Was sie jedoch immer störte: «Man musste sehr viel leisten und hat wenig verdient. Ich habe in dieser Zeit gelebt, um zu arbeiten.» 

Daraufhin weitete sie ihren Blick aus: «Psychologie, Persönlichkeitsentwicklung und Spiritualität haben mich schon immer interessiert», erzählt sie. «Auf natürliche Art habe ich ein gutes Gespür für Menschen und las bereits als 13-Jährige Bücher zu diesen Themen.» Somit entschied sie sich für die einjährige Ausbildung zur ILP-Coachin. Hauptberuflich arbeitete Giulia Sorrentino zwischenzeitlich in der Produktion bei der IWC, später in einem Kaffeemaschinengeschäft und aktuell in der Kleiderboutique La Strada in der Schaffhauser Altstadt. «Ich war schon immer vielseitig interessiert.» Doch ihre Berufung fand sie erst im Coachingbereich – woraufhin sie weitere Tages- und Wochenendseminare besuchte und mittlerweile ihr Festanstellungs-Pensum in der Boutique auf 50 Prozent reduziert hat. 

Eigenen Lösungsansatz finden

Den definitiven Schritt in die Selbständigkeit machte Giulia Sorrentino im Herbst 2022. «Momentan gibt es einen richtigen Boom an Coaching-Angeboten», stellt die 28-Jährige fest. «Und trotzdem hat es lange gedauert, bis ich es wirklich wagte.» Gezielte und die richtigen Fragen stellen und ihr Gegenüber intuitiv spüren sieht sie als ihre grössten Stärken. «Der Ansatz der Hilfe zur Selbsthilfe ist für mich besonders wichtig. Die Menschen sollen ihren Lösungsansatz finden und von keiner Therapie und keinem Coaching abhängig werden.» Sie selbst hat wertvolle Erfahrungen damit gemacht. «Es gibt immer wieder Punkte im Leben, in denen man alleine nicht weiterkommt. Und in diesen Momenten ist man sich selbst zu nahe und es tut gut, wenn einem jemand den Spiegel hinhält.»

«Ich bin ein grosser Fan von tiefgründigen Gesprächen»
Giulia Sorrentino, Coachin und Podcasterin

Podcasts wie Sand am Meer

Vergangenen November riss Giulia Sorrentino ein weiteres Projekt an: ihren eigenen Podcast. Wie es dazu kam? «Während meiner Arbeit in der Produktion habe ich mit dem Podcast hören begonnen», erzählt sie. «Schon damals reizte es mich, einen eigenen Podcast aufzubauen. Denn ich bin grundsätzlich ein Fan von tiefgründigen Gesprächen.» 

Einmal sei die 28-Jährige dann an einer Geburtstagsfeier gewesen und mit einem Partygast ins – vertiefte – Gespräch gekommen. «Plötzlich begannen die Personen um uns herum zuzuhören und meinten, das sei ja wie bei einem Podcast.» Und so wurde der Gedanke schnell zur Realität – es entstand eine Folge unter dem Namen «Talk deep to me». Damit war die erste Hemmschwelle genommen und Giulia Sorrentino baute die Idee für sich selbst aus. 

«Es gibt Podcasts wie Sand am Meer», stellte die Schaffhauserin schnell fest. «Aber ich spreche auf meine eigene Art über Themen, über die man oft nicht gerne redet, und zeige den Menschen damit, dass sie mit ihren Herausforderungen nicht alleine sind.» Anfangs hat sie vor allem Podcasts in Interviewform produziert – beispielsweise sprach sie mit einer Energieheilerin oder anderen Coaches. Bald reihten sich aber auch Solofolgen in die Reihe von «The Shameless Place» ein. «Das brauchte besonders viel Überwindung, vor allem weil ich nicht weiss, wer es hört oder was es in den Menschen auslöst.» 

Diskutieren nicht gleich streiten

«I dem Podcast wird ganz vill diskutiert und noh meh hinterfrogt – und das ganz ohni Scham» – so lautet das Intro der schweizerdeutschen Podcastreihe, die auf Spotify und Apple Podcasts zu hören ist. Giulia Sorrentino führt aus: «Viele Menschen sind bei Themen wie Sexualität oder auch Geld sehr gehemmt.» Diskutieren habe keinesfalls mit Streiten zu tun, sondern sei ein Weg, um andere Perspektiven zu bekommen. Ob 15 oder 90 Minuten – die Folgen werden nicht nach einer Norm produziert, sondern so wie es aus dem Gespräch heraus passt. «Jede:r braucht mal jemanden, der einem den Spiegel vorhält. Das Hauptziel ist es, dass ich Denkanstösse geben und Perspektiven erweitern kann.» 

Die Liste mit den Themen, welche sie noch behandeln will, ist lang: Sexualität, Geld, Drogen, Selbstmord, Prostitution, Gewalt oder das Leben mit einer Behinderung stehen darauf. Die Podcasterin bietet Menschen mit ihrem Format einen Raum, wenn sie über ein Thema sprechen wollen, und ist dementsprechend offen für weitere Anfragen. «Ich liebe es, interessante Menschen und ihre einzigartigen Geschichten kennenzulernen.» 

Mit Blick auf die Zukunft wünscht sich die 28-Jährige eines Tages von der Coachingtätigkeit leben zu können. «Ich kann mir gut vorstellen irgendwann noch Seminare zu geben», so Giulia Sorrentino und betont abschliessend: «Ob mit einem Podcast, in einem persönlichen Coaching, im Gespräch mit einer Freundin oder mithilfe einer Therapie – mir ist wichtig, dass sich Menschen, die verzweifelt sind und keinen Ausweg mehr sehen, Unterstützung suchen.» Denn ob in Bezug auf die persönliche oder die berufliche Weiterentwicklung – den richtigen Zeitpunkt, mit etwas anzufangen, gebe es nie. «Aus meiner Sicht ist man dann bereit, wenn man damit anfängt.»

Weitere Infos zum Podcast und den Coachings sind unter giuliasorrentino.ch zu finden.

Perspektiven erweitern: Giulia Sorrentino spricht in ihrem Podcast «The Shameless Place» über Themen, welche in der Gesellschaft oftmals als Tabu gelten. Bild: zVg.
Lara Gansser, Schaffhausen24 / Goldküste24