An Land kümmert sich unter anderen der Schaffhauser Stefan Caprez um das Fortbestehen der Organisation.
Wagemutig machen sie sich auf den Weg in Richtung Europa und riskieren dabei ihr Leben. Menschen auf der Flucht vor Unterdrückung, Krieg oder Auswirkungen des Klimawandels – voller Zuversicht auf ein glücklicheres Leben. Ausgangspunkt für ihre gefährliche Reise übers Mittelmeer ist meist Libyen. Nicht immer geht dabei alles glatt. Hier kommt die Seerettungsorganisation SOS Méditerranée ins Spiel. Gegründet 2015 als Antwort auf das Fehlen von staatlichen Massnahmen verfolgt die Organisation drei Hauptziele «Leben Retten», «Schützen und Begleiten» sowie «Bezeugen». Eine zentrale Rolle nimmt dabei das Schiff Ocean Viking ein. Der für dieses benötigte Treibstoff, sämtliches Equipment sowie die Verpflegung der geretteten Personen kosten viel Geld. Für das Auftreiben genügend finanzieller Mittel in der Deutschschweiz ist seit kurzem ein Schaffhauser zuständig. Stefan Caprez erzählt im Interview über seine für ihn sinnstiftende Aufgabe und gibt Einblicke in den Mechanismus der Hilfsorganisation.
«Bock»: Wie ist SOS Méditerranée in der Schweiz und in Schaffhausen aufgestellt?
Stefan Caprez: SOS Méditerranée ist in der ganzen Schweiz präsent, vor allem in der Westschweiz sind wir gut verankert. Zurzeit arbeiten wir daran, unsere Bekanntheit in der Deutschschweiz auszuweiten. In der gesamten Schweiz verfügen wir über ein grosses Netz an Mitgliedern, Freiwilligen, Unterstützenden und Spendenden. In den grösseren Städten des Landes gibt es Freiwilligengruppen, die Veranstaltungen und Informationsanlässe durchführen. Bis jetzt gibt es leider noch keine solche in Schaffhausen. Aber was noch nicht ist, kann ja noch werden. Ansonsten sind wir als zivile Seenotrettungsorganisation in Frankreich, Deutschland und Italien aktiv.
In welchen Meeren der Welt rettet ihr Menschen?
Caprez: Unser Rettungsschiff, die Ocean Viking, ist im zentralen Mittelmeer, also in dem Gewässer zwischen Italien und Libyen, unterwegs. Wir operieren ausnahmslos in internationalen Gewässern, das heisst ausserhalb der nationalen Küstengewässer von 12 Seemeilen.
Wie werdet ihr auf in Seenot geratene Schiffe aufmerksam gemacht?
Caprez: Generell entdecken wir Schiffe über unseren Ausguck oder den Radar. Häufig erhalten wir Sichtungen über zivile Alarmnotrufnummern übermittelt. Bei der Suche unterstützen uns ebenfalls private Flugzeuge, die im Gebiet patrouillieren. Oder staatliche Notfallkoordinationszentren, zivile Schiffe und die Küstenwachen informieren uns über Boote, die Hilfe benötigen. Die Pflicht, einem Boot in Seenot zu helfen, gilt ausnahmslos für alle Akteure, welche auf dem Meer unterwegs sind. Gerade in der jetzigen Zeit, bei gutem Wetter, spitzt sich die Lage zu und es sind enorm viele seeuntaugliche Boote im Mittelmeer unterwegs.
Wie läuft eine Rettungsaktion ab?
Caprez: Jedes Land, welches Zugang zum Meer hat, übernimmt bei Notfällen die Koordination über eine definierte Meereszone. Diese Stellen werden Maritime Rescue Coordination Centres genannt. Sobald wir ein Schiff in Seenot lokalisiert haben, wird die jeweilige staatliche Koordinationsstelle angefunkt. Wir informieren die zuständigen Behörden systematisch und in jeder Phase des Einsatzes, von der aktiven Suche bis zum Ende der Rettungsaktion. Alle unsere Einsätze und Beobachtungen auf See sowie unsere Interaktionen werden nahezu in Echtzeit, objektiv, sachlich und transparent auf unserer Website onboard.sosmediterranee.org dargestellt.
Und dann beginnt die eigentliche Rettung?
Caprez: Für die effektive Evakuierung der Menschen stehen der Ocean Viking vier schnelle Beiboote zur Verfügung. Unser Rettungsteam stabilisiert das Schiff in Seenot und beginnt mit der Überführung der Menschen auf die Ocean Viking. Häufig sind die Boote völlig überfüllt, und die Menschen sind ohne Schwimmwesten unterwegs, was das Verfahren deutlich erschwert. An Bord angekommen, werden die Geretteten in der Bordklinik medizinisch notversorgt und mit den wichtigsten Alltagsutensilien wie Kleidung und Hygieneartikeln ausgestattet. Es stehen mehrere Schutzräume für die Geretteten zur Verfügung, wobei es separate für Frauen und Kinder gibt. Sobald alle Personen sicher auf der Ocean Viking untergebracht sind, folgt die Zuteilung eines sicheren Ausschiffungshafens durch die nationalen Koordinationsstellen.
Was für ein Team ist bei den Rettungsaktionen auf der Ocean Viking an Board?
Caprez: Die Gesamtzahl der Crew bei einem Rettungseinsatz beläuft sich auf um die 23 Personen. Diese sind in drei Hauptgruppen unterteilt. Zum einen die maritime Schiffsbesatzung, welche sich um die Navigation und den Schiffbetrieb kümmert. Als weiteres das professionelle Rettungsteam, welches den Menschen aus den seeuntauglichen Schiffen hilft. Und als drittes das medizinische Team, das die Betreuung an Bord übernimmt. Dabei arbeiten wir eng mit der internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC) zusammen. Darüber hinaus befinden sich jeweils Spezialist:innen für Kommunikation und kulturellen Austausch an Bord sowie unabhängige Journalist:innen, welche über das ganze Vorgehen berichten.
Was passiert mit den Geretteten, sobald sie wieder an Land sind?
Caprez: Nachdem wir den uns zugeteilten Ausschiffungshafen erreichen, werden die Menschen dort von staatlichen Stellen in Empfang genommen oder von gemeinnützigen Organisationen wie dem Roten Kreuz. SOS Méditerranée verfolgt in erster Linie das Ziel, Menschen in Seenot zu retten. Mit der Ausschiffung der Geretteten ist somit unsere Aufgabe beendet. Mit dem Sammeln von Zeugenaussagen über ihre Reise möchten wir diesen Menschen zudem eine Stimme geben.